Der Befall mit dem Falschen Rebenmehltau machte das Jahr 2016 für den Schweizer Weinbau zu einem aussergewöhnlich schwierigen. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist in der Öffentlichkeit umstritten. Er ist aber für eine qualitativ hochwertige Traubenproduktion unerlässlich.
Die von Agroscope entwickelten Methoden sollen die Schweizer Winzerinnen und Winzer beim verantwortungsbewussten Einsatz von Pestiziden unterstützen. Ab 2017 werden diese Bemühungen mit einem nationalen Aktionsplan intensiviert.
Sehr ausgiebige Niederschläge bis in den Juli haben lokal die Entwicklung des Falschen Rebenmehltaus stark gefördert. Frühe und starke Infektionen der Gescheine in der ersten Junihälfte hatten die vollständige Austrocknung vieler Trauben zur Folge. Die Regenfälle von Mitte Juli führten anschliessend zu weiteren Infektionen von Trauben, was die Ernte weiter schmälerte.
Ein so ausgeprägter Befall mit dem Falschen Mehltau war seit 1996 nie mehr festgestellt worden. Der Krankheitsdruck führte in bestimmten Parzellen zu beträchtlichen Ernteausfällen – trotz Anwendung von Pflanzenschutzmitteln. Wie lässt sich diese paradoxe Beobachtung erklären?
(Bild: zVg)
Epidemisches Verhalten
Der Falsche Rebenmehltau kann sich bei feuchten Bedingungen epidemisch ausbreiten und explosionsartig entwickeln. Wenn die Krankheit bereits ausgebrochen ist, lässt sich der Erreger nicht mehr durch ein Fungizid vollständig beseitigen. Selbst ohne Regen sind Sekundärinfektionen möglich, allein über den Tau oder über die Verdunstung durch die Blätter. Deshalb ist es wichtig, früh zu reagieren und die Reben präventiv zu behandeln, bevor sich der Falsche Mehltau etabliert hat.
Verunsicherte Verbraucher
Die Konsumentinnen und Konsumenten sehen Pflanzenschutzmittel in erster Linie als Gefahr für Gesundheit und Umwelt. Immer wieder werden bei Analysen in Lebensmitteln und Weinen Rückstände solcher Produkte nachgewiesen. Fast immer handelt es sich um Spuren, die deutlich unter den vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) festgelegten Toleranzwerten liegen.
Ein Toleranzwert ist aber ein Maximalwert. Er wird aufgrund toxikologischer Daten festgelegt, stützt sich auf die Gute landwirtschaftliche Praxis und soll die gesundheitliche Unbedenklichkeit gewährleisten. Mit extrem empfindlichen Analysemethoden können selbst winzige Spuren bestimmter Moleküle nachgewiesen werden, von denen unerwünschte Wirkungen auf die menschliche Gesundheit vermutet werden.
Die in der Schweiz angewendeten Normen gelten auch in der ganzen Europäischen Union. Die Anforderungen und Erwartungen der Gesellschaft ändern sich jedoch. Die Forschung nimmt diese Anliegen der Gesellschaft auf. Sie prüft die Weinbaupraktiken kontinuierlich und sorgfältig, um geeignete Alternativen zu finden.
Ausserdem befindet sich ein nationaler Aktionsplan, der auf eine nachhaltige Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und eine Reduktion der damit verbundenen Risiken abzielt, in der Vernehmlassung bei den Kantonen. Er legt konkrete Ziele und Massnahmen fest. Die Umsetzung ist für 2017 vorgesehen.
Derzeitige biologische Produktion keine wirkliche Alternative
Die biologische Produktion verzichtet auf synthetische Produkte und schützt die Reben hauptsächlich mit Kupfer, Schwefel und ergänzend mit weiteren Produkten natürlichen Ursprungs. Diese Kontaktmittel haben im Allgemeinen eine kürzere Wirkungsdauer und werden leicht durch Regenfälle ausgewaschen. Deshalb müssen die Behandlungen regelmässig wiederholt werden.
Kupfer, das im Weinbau seit dem Ende des 19. Jahrhunderts angewendet wird, ist jedoch ein Schwermetall, das sich im Boden anreichert. Der Einsatz von Kupfer führt zu einer gemischten Gesamtbilanz, insbesondere weil mehr Behandlungen erforderlich sind. Aus diesem Grund suchen seit fast 30 Jahren zahlreiche Institute in der Schweiz und in ganz Europa intensiv nach Alternativen. Bisher wurde jedoch kein natürliches Produkt mit ausreichender Wirksamkeit gefunden.
Nachhaltigkeit oberstes Ziel
Winzerinnen und Winzer müssen über eine Bewilligung für die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln verfügen. Als verantwortungsbewusste Fachleute kennen sie die Risiken solcher Mittel und bemühen sich, diese gezielt und massvoll einzusetzen. Ein solches Verhalten entspricht dem Grundsatz der Integrierten Produktion.
Die wirtschaftliche Realität zwingt sie, Trauben und Weine hoher Qualität und in genügenden Mengen herzustellen, um ein ausreichendes Einkommen zu erzielen. Der Schweizer Weinbau muss sich täglich mit unvorhersehbaren Einflüssen der Natur auseinandersetzen und sich gleichzeitig um einen nachhaltigen Anbau bemühen.
Durch die gemeinsamen Bemühungen des Weinbausektors und der Forschung bei Agroscope wird es auch künftig möglich sein, die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und die damit verbundenen Risiken kontinuierlich weiter zu reduzieren. Der nationale Aktionsplan ist ein wirkungsvolles Instrument mit Hebelwirkung auf dem Weg zu diesem Ziel.
Vorreiter Agroscope
Die schweizerische Agrarforschung geht seit den 1970er-Jahren auf gesundheitliche und ökologische Anliegen des Weinbaus ein. Forschende bei Agroscope haben bei der Entwicklung der Integrierten Produktion im Weinbau Pionierarbeit geleistet.
Mehrere grosse Erfolge, wie etwa die Traubenwickler-Befallsreduktion mittels Duftstoffen (Verwirrungstechnik) oder die biologische Bekämpfung von Milben mit natürlichen Feinden, haben es ermöglicht, auf Insektizide und Akarizide fast vollständig zu verzichten. Im Rahmen des Programms zur Züchtung von Weinreben, die gegenüber Pilzkrankheiten resistent sind, konnte 2013 die erste gegen den Falschen Mehltau resistente Rebsorte mit dem Namen Divico zur Verfügung gestellt werden.
Modellberechnungen für verschiedene Krankheiten und ein Tool zur Bestimmung der richtigen, auf das Laubwandvolumen abgestimmten Dosierung stehen auf der Website von Agroscope zur Verfügung. Mit diesem Rechner lässt sich der Einsatz von Fungiziden um 20 bis 30 % reduzieren. Da sich die Pilzkrankheiten jedoch epidemisch ausbreiten, ist es unumgänglich, dass gegenüber dem Falschen und Echten Mehltau empfindliche Reben präventiv behandelt werden, um Infektionen und Ernteeinbussen zu vermeiden – sei es in der Integrierten Produktion, im biologischen oder auch im biodynamischen Anbau.