Die Schweizer Weinbranche steckt in einer Krise. Nach zwei ertragreichen Jahren sind die Keller randvoll mit besten Weinen. Wegen Absatzproblemen sind die Konsequenzen in einigen Regionen existenzbedrohend. Mitte Februar trafen sich Vertreter der Branche in Bern für eine «nationale Konferenz». Mit dabei, und entsprechend gefordert, ist auch die Gastronomie.
Es gärt in den Westschweizer Weinbaukantonen. Nach den grossen Ernten 2018 und 2019 sind die Keller zum Bersten voll. Viele Winzer werden ihren Wein nicht los. Deshalb verbarrikadieren Mitte September einige Winzer im Genfer Vorort Meyrin einen Kreisel und machen auf Traktoren ihrem Ärger Luft. Anfang Dezember demonstrieren an die 200 Weinbauern und Winzerinnen – hauptsächlich aus der Westschweiz – auf dem Bundesplatz in Bern für den Schweizer Wein. Sie fordern eine Überprüfung der Einfuhrsteuern auf ausländischem Wein. Zu viel Billigwein aus dem Ausland überschwemme den Markt, lautet der Vorwurf an die Grossverteiler und die Gastronomie wird zum Sündenbock erklärt, weil zu wenig Schweizer Wein angeboten würde.
Mitte Januar bestätigt sich das Gerücht, dass die Walliser Genossenschaft Provins, einer der grössten Weinproduzenten des Landes, kurz vor dem Konkurs stehe. Schon länger ist bekannt, dass Traubenproduzenten weniger Geld für ihre Früchte erhalten und länger auf ihren Lohn warten müssen. Einzelne Kantone haben sogar eine Senkung der Quoten bei der Ernte 2019 beschlossen. Der Kanton Waadt etwa drosselte die Produktion um 15 Prozent – was sich direkt in den Einkommen der Winzer niederschlägt.
Wie dramatisch die Krise im Schweizer Weinbau ist wollten weinlandschweiz.ch und die HGZ Hotellerie Gastronomie Zeitung von CVP-Nationalrat Marco Romano wissen. Der Tessiner ist Präsident des Schweizer Branchenverbands Rebe und Wein (IVVS).
Zur Person
Marco Romano, 37, sitzt seit Dezember 2011 für die CVP im Nationalrat. Er ist Direktor einer Stiftung, wohnt in Mendrisio und ist Vater einer Tochter. Marco Romano hat zahlreiche Mandate. So sitzt er im Zentralvorstand der Schweizerischen Konferenz der Höheren Fachschulen und seit Mai 2016 ist er Präsident des Schweizer Branchenverbands Reben und Wein. (Bild zVg)
weinlandschweiz.ch/HGZ: Marco Romano, wie schlecht geht es der Schweizer Weinbranche?
Marco Romano: Die einzelnen Regionen melden eine heterogene Situation: grob zusammengefasst hat ein Drittel der Winzer und Weinproduzenten Probleme, ein Drittel steht vor grossen Herausforderungen und ein Drittel meldet keine Probleme. In den Kantonen Wallis, Waadt und Genf mit grossen Rebflächen, werden die Probleme natürlich anders gewichtet als in Deutschschweizer Kantonen mit vielen kleineren Rebflächen.
Gibt es ein Notfallszenario?
Ja. Wirtschaftsminister Guy Parmelin zeigt sich bereit, den Konsum von Schweizer Wein mit zusätzlichen Bundesgeldern zu fördern. Auch einzelne Kantone haben schon Massnahmen, in ihren Kompetenzen.
Das wird reichen?
Nein. Trotz zusätzlichen Geldern sind die Mittel für unser Weinmarketing beschränkt. Gelingt es uns kurzfristig den Marktanteils von aktuell 35 bis 37 Prozent auf 40 Prozent zu erhöhen, würde dies die meisten Probleme der Schweizer Weinbranche lösen.
Deshalb haben Sie zur ersten nationalen Tagung der Weinbranche eingeladen. Wer sass am 12. Februar am runden Tisch?
Ja, neben dem Dachverband waren alle Präsidenten der Regionen, der Selbstkelterer, der Genossenschaften, der kantonalen Ämter sowie der Vermarkter und Händler anwesend. Wir machten eine Auslegeordnung aller Fakten. So gab es unter anderem eine Einschätzung des Bundes, Zahlen vom Observatoire suisse du marché des vins, Inputs vom Weinproduzentenverband, die Strategie von Swiss Wine und eine Stellungnahme von GastroSuisse.
Welche Position vertritt Gastrosuisse?
Unter dem Titel «Que fait la gastronomie pour favoriser les vins suisses?» (Was tut die Gastronomie zur Förderung der Schweizer Weine?) sprach Daniel Borner, Direktor Gastrosuisse über die Weiterbildungen, die sein Verband und die angeschlossenen Hotelfachschulen anbieten würden. Er sagte aber auch, dass er den 20’000 Mitgliedern nicht vorschreiben könne, was sie anbieten und ausschenken sollen. Zwar sagte er, dass die Gäste bereit seien, Schweizer Produkte zu konsumieren. Doch er betonte auch, dass die Absatzförderung die Aufgabe der Winzer und deren Verbände sei. Er erwarte, dass die Winzer auf die Gastronomen zugingen. Persönlich glaube ich nicht, dass dies reicht. Das Schweizer Gastgewerbe muss sich stärker für lokale Produkte einsetzen. Vor allem Betriebe in den Städten und solche in Tourismuszentren.
Gab es auch wieder Forderungen die Weinimporte zu beschränken?
Ja, Forderungen die Grenzen zu schliessen, gibt es immer wieder. Doch das Schweizer Preisniveau kann nicht mit protektionistischen Mitteln ausgeglichen werden. Die Importe sinken seit einigen Jahren. Trotzdem steigt der Konsum an Schweizer Wein nicht an. Insgesamt trinken die Schweizer immer weniger Wein. Da liegt das Problem und die Lösung heisst: Marktanteile gewinnen.
Wurden Entschlüsse gefasst?
Nein. Die Situation in der Schweiz ist sehr kompliziert. Alle Regionen konnten ihre Sorgen und Ideen einbringen. Es ging darum alle Partner für die Probleme der Branche zu sensibilisieren und auf den gleichen Wissensstand zu bringen.
Können Sie einige der brennendsten Probleme nennen?
Ein grosses Problem ist die Abhängigkeit des Weinbaus von der Natur, dem Klima. Mit mehreren kleinen Jahrgängen (2013 83,9 Mio. Liter, 2015 85 Mio. Liter und 2017, dem Frostjahr, 79 Mio. Liter, Anm. der Red.) verlor der Schweizer Wein Marktanteile. Die können mit den grossen Jahrgängen 2018 (111 Mio. Liter) und 2019 (Schätzung 100 Mio. Liter) nicht so einfach wieder gewonnen werden. Der Bund evaluiert mögliche Gesetzesanpassungen wie Bestände, die strategisch als «réserve climatique» (Reserve für klimatisch schwierige Jahre) gelagert werden könnten.
Die Umstellung vom bestehenden AOC-System auf die neue AOP/IGP-Regelung für Wein wurde aus der Agrarpolitik 22+ gestrichen. Das werte ich als Erfolg für die Branche. Dafür haben wir uns auch stark eingesetzt und bei Bundesrat Guy Parmelin Verständnis gefunden. Denn die Umstellung hätte für die Winzer einen hohen administrativen Aufwand bedeutet. Büroarbeiten sollen so gering wie möglich gehalten werden. Dafür sollen die Winzer mehr Zeit ins Marketing investieren.
Dann war die Finanzierung der Schweizer Weinwerbung ein grosses Thema. Da gilt es, Trittbrettfahrer zu vermeiden. Deshalb hat uns der Bundesrat die obligatorische Beitragspflicht bis 2022 gesetzlich gesichert.
Und noch ein Thema wurde heiss diskutieret: Der Bund redet pauschal über den Alkoholkonsum. Da fordern die Produzenten mehr Respekt für ihre Arbeit. So soll bei Gesundheitskampagnen in Zukunft Wein, Bier und edle Destillate von günstigen Spirituosen und Alkopops unterschieden werden. Ein moderater Konsum gehört zu unserer Kultur und ist kein gesellschaftliches Problem.
Welches sind die Lichtblicke?
Die Grossverteiler spüren ein steigendes Interesse auf Seiten der Kunden für Schweizer Produkte und natürlich auch Schweizer Wein. Der Handel zeigt sich bereit, Schweizer Wein ins rechte Licht zu rücken und in ihren Läden prominenter zu Präsenttieren. Dass Schweizer Wein vermehrt im Vordergrund steht, wünsche ich mir auch von der Gastronomie. In- und ausländische Touristen wollen regionale Spezialitäten probieren. Dazu gehören nicht nur Bündnerfleisch und Greyerzer Käse sondern auch gute Schweizer Weine. Viele Winzer nutzen moderne Kommunikationstechniken. Vor allem die junge Winzergeneration hat unkonventionelle Ideen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Weinbranche?
Mehr Selbstvertrauen und Stolz auf die Produkte. Noch fehlt das Kommittent für den Schweizer Wein – Schweizer Produkte im allgemeinen –, der nach Schweizer Gesetzen produziert und auch kontrolliert wird. Da hat vor allem die Deutschschweiz Nachholbedarf. Im Gegensatz zum Tessin und der Romandie ist Schweizer Wein im wichtigsten Markt Deutschschweiz noch nicht so verankert. Das belegen die Zahlen des Observatoire.
Am Schluss entscheiden die Konsumenten
Genau. Ich hoffe sehr, dass sie sich für den Schweizer Wein entscheiden. Ohne Weinberge und Rebterrassen hätte die Schweiz ein ganz anderes Gesicht.
Haben Sie auch über die bevorstehenden Trinkwasser- und Pestizidinitiativen gesprochen?
Nein, die waren noch kein Thema.
Welches war Ihr persönlicher Schlüsselmoment in Sachen Wein?
Als mich die Vertreter der Weinbranche 2016 fragten ob ich ihr Präsident werden wolle, war ein sehr spezieller Moment. Ich denke, dass sie mit einem Tessiner ein Zeichen setzen wollten, dass nicht nur Romandie Wein produziert. Zudem spreche ich alle drei Landessprachen und will mich für diese Branche einsetzen.
Gibt es einen Wein, den Sie unbedingt einmal im Leben probieren wollen?
Nein, nicht per se einen einzelnen Wein. Wenn immer möglich probiere und kaufe ich lokale Produkte.
Welches war Ihr schönster Weinmoment?
Da gibt es nicht nur einen. Ich freue mich jedes Mal wenn ich einen Winzer besuche auf die Gespräche. Besonders dann, wenn ein Betrieb von einer Generation auf die nächste übertragen wird.
(Interview Gabriel Tinguely)
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4. Januar 2020 – Diderik Michel – Der Wein-Rebell
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6. Dezember 2019 – #swisswinegreatagain
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2. Dezember 2019 – Präsentieren oder demonstrieren
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13. November 2019 – Alle Winzer müssen Werbung mitfinanzieren
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7. November 2019 – Viticulture suisse inaction du gouvernement – les importations menacent la production indigène!
Malgré la qualité exceptionnelle de leur production de vins, les vignerons suisses subissent une concurrence étrangère toujours plus forte qui aboutit à une situation catastrophique pour le secteur viticole. En juin, l’Association suisse des viticulteurs et encaveurs indépendants (ASEVI) a soumis au Conseil Fédéral un catalogue de mesures urgentes et à long terme pour assurer l’avenir de la production viticole indigène.
6. November 2019 – Bundesrat gegen Weinkarten-Vorschrift
Der Bundesrat lehnt eine Motion ab, die verlangt, dass Gaststätten mindestens 50 Prozent Schweizer Weine im Angebot führen müssen.
Swiss Wine Gourmet ist eine Plattform, die Gastronomen mit Weinliebhabern verbindet. Kurz nach deren Lancierung wurden erste Restaurateure belohnt.
Jeder Gastronom, der Schweizer Weine anbietet, kann sich bei Swiss Wine Gourmet anmelden. Alle Gastbetriebe werden auf der Internet-Plattform publiziert und entsprechend dem Weinangebot in eine von drei Kategorien eingeteilt. Dabei achten die Macher von Swiss Wine Gourmet auf die Vielfalt der Rebsorten und die Präsenz der Weinregionen. Als Partner der Schweizer Weinproduzenten erhalten die Gastbetriebe ein Label mit einem bis drei goldenen Gläsern. Seit der Lancierung im 2018 haben sich 1370 Betriebe angemeldet. Das Label Swiss Wine Gourmet gewinnt an Bedeutung und hat dieses Jahr 160 Betrieben drei goldene Gläser verliehen.
Präsenz von Schweizer Wein steigt
Ein einzelnes goldenes Glas steht für eine regionale Auswahl. Zwei Gläser bedeuten, dass die Weinkarte Preziosen aus mindestens zwei Schweizer Weinbaugebieten enthält. Bei drei Gläsern bieten Gastgeber Crus aus allen sechs Weinregionen der Schweiz an. Dazu gehören das Wallis, die Waadt, Genf, die Drei-Seen-Region mit Neuenburg, Vully und Bielersee, die Deutschschweiz sowie das Tessin.
Belohnung für 15 Gastgeber
Während der Woche der Genüsse lancierte Swiss Wine Gourmet einen Publikumswettbewerb. Über 1700 Personen haben ihre Bevorzugten Restaurants und Weinbars angegeben. Meistgenannte Gastgeber aus jeder Sprachregion erhielten einen Gutschein im Wert von 1000 Franken für den Kauf von Wein bei Schweizer Weinproduzenten. Belohnt wurden auch Betriebe, die ihr Schweizer Weinangebot markant erweitert haben sowie neu Angemeldete mit einem besonders vielfältigen heimischen Weinangebot.
Swiss Wine, die Marketing- und Kommuniationsorganisation der Schweizer Weinproduzenten, arbeitet eng mit Schweiz Tourismus zusammen. So können Gastronomen auf myswitzerland.com mit dem Gläser-Label von Swiss Wine Gourmet werben.
(Gabriel Tinguely)