Zugegeben: Süssdruck ist keine schmeichelhafte Bezeichnung für einen Wein. Das klingt zu sehr nach Parfum und Frauenwein. Nicht besser sind Federweisser und Weissherbst. Beide lassen sie eher Traubensaft oder Suser vermuten. Das alles sind Vorurteile. Unter den leuchtend rosafarbenen Weinen finden sich zahlreiche kräftige Gewächse, Machos, um beim Bild von Frauen- und Männerweinen zu bleiben. Und dies wiederum ist ein Klischee, das in unserer emanzipierten Welt seine Bedeutung verloren hat.
Einmal mehr bringen es die Franzosen mit dem vornehmen «Blanc de Noirs» auf den Punkt. Rosé ist ein heller Wein aus blauen Trauben. Die Farbpalette reicht von silbernem Weiss über helles Orange oder leuchtendes Rubin bis hin zu kräftiger Himbeerfarbe. Wohltuend für das Auge, ist die Farbe zugleich auch ein Dilemma für den Wein. In ihrem in 2005 erschienenen Buch «Drink Pink» schrieb Chandra Kurt: «Spricht man von Rosé, ist nicht eine spezielle Traubensorte oder eine genaue Weinregion gemeint.» Tatsächlich wurde Rosé jahrelang als Abfallprodukt der Weinproduktion angesehen. Heute ist Rosé wieder cool.
Vom Abfallprodukt zum Modewein
Rosé gilt als Sommerwein par excellence. Seine Frische und Leichtigkeit verbreitet Lebensfreude. Er ist aber nicht nur leicht und frisch, er passt auch zu allen Variationen der Sommerküche.
Roséweine lassen sich auf mehrere Arten gewinnen: vorzeitiges Abpressen, Abziehen von Vorlaufmost, gleichzeitiges Keltern von weissen und blauen Trauben oder Mischen von Weiss und Rotwein. Das Letztere ist in Europa nur in der Champagne erlaubt. Dort mischen zahlreiche Produzenten ihre weissen und roten Grundweine, bevor sie diese zur zweiten Gärung in Flaschen abfüllen. Im Juni 2009 zog die EU-Kommission nach heftigen Protesten von Weinbauverbänden einen Gesetzesvorschlag zurück, der den Winzern erlaubt hätte, Roséwein auch durch einfachen Verschnitt von Rot- und Weisswein zu erzeugen. Dieses Verfahren ist ausserhalb der EU erlaubt und wird zur Herstellung einfachster Roséweine angewandt.
Das gleichzeitige Keltern von weissen und blauen Trauben aus der gleichen Reblage dagegen ist erlaubt. Solche Weine werden als «Schiller» bezeichnet. In der Schweiz ist dies eine Spezialität aus Graubünden. Grösste Bekanntheit geniesst der «Churer Schiller».
Beim Saigné-Verfahren wird eine gewisse Menge Vorlaufmost von frisch gemahlenen, dunklen Trauben nach kurzer Maischung vor der Gärung abgezogen. Je nachdem wie lange der Most mit den farbenthaltenden Schalen in Kontakt bleibt, wird der so gewonnene
Wein heller oder farbintensiver. Dieses Verfahren begründete das negative Image der «Abfallverwertung». Denn durch das Abziehen von Saft wird der Anteil an Phenolen und Aromastoffen im verbleibenden Most erhöht, so dass eine natürliche Konzentration des zu erzeugenden Rotweins bewirkt wird.
Die häufigste Art der Rosé-Kelterung ist das Abpressen der Rotweinmaische nach wenigen Stunden oder Tagen. Man lässt den Saft gerade so lange mit den Schalen in Kontakt, dass genügend, aber nicht zu viel, Farbe extrahiert wird. Das verlangt Fingerspitzengefühl. Denn es gilt, möglichst viele Aromen zu entziehen, bevor alle Farbpigmente und Gerbstoffe aus den Schalen der Beeren gelöst wurden. Gerbstoffe (Tannine) lassen den Wein bitter schmecken, und das sollten Roséweine eher nicht. Viele Winzer keltern auf diese Weise die ersten Ernten junger Rebanlagen.
Die bekanntesten Rosé-Regionen
Roséweine werden auf der ganzen Welt gekeltert. Nur wenige Regionen haben sich mit ihren hellroten Weinen einen besonderen Namen gemacht. In der Schweiz ist das allen voran der Kanton Neuenburg. Dort hat der lachsfarbene Oeil-de-Perdrix seinen Ursprung, der mittlerweile in fast allen Kantonen produziert wird. Oeil-de-Perdrix ist ein gesetzlich geschützter Begriff und darf nur für aus Pinot-Noir-Trauben gekelterten Rosé verwendet werden. Den Namensdiebstahl haben die Neuenburger erst realisiert, als es schon zu spät war. Doch die Neuenburger Winzer sind erfinderisch und lancierten den Perdrix Blanche, einen noch helleren Pinot-Noir-Rosé, und schützten
diesmal den Begriff. Der Kanton Genf und die Waadtländer Region La Côte sind bekannt für ihre frisch-fruchtigen Rosé de Gamay.
Im Tessin steigt die Produktion von weiss und rosé gekeltertem Merlot.
In Frankreich ist die Provence die führende Roséregion. Das geht so weit, dass mancher Weinliebhaber beim Wort Provence zuerst an Roséweine denkt. In den südlichen Côtes du Rhône, nordwestlich von Avignon, liegt die AOC Tavel. Der leuchtend himbeerfarbene Wein aus den Sorten Grenache, Cinsault, Clairette, Syrah und Carignan war der Lieblingswein von König Ludwig XIV. (1638–1715). Heute gelten die Tavel als die besten Rosé Frankreichs. Ebenfalls im Languedoc, zu dem die AOC Corbières gehört, ist Rosé populär. Bekannt ist zudem der Rosé d’Anjou von der Loire.
In Spanien hat Rosé eine grosse Bedeutung. Hellere Weine werden als Rosado bezeichnet, dunklere als Clarete. Aus Portugal stammt
vor allem der Mateus Rosé. In Italien hat Rosé nicht den Stellenwert wie in Spanien. Wie auf der iberischen Halbinsel unterscheiden die Italiener helle und dunkle Weine mit Rosato und Chiaretto.
Eine Spezialität teilt die Weinwelt in zwei Lager: der Schilcher aus Österreich. Kaum ein anderer Wein hat mehr Säure und Mineralität. In der Neuen Welt sorgte vor allem White Zinfandel für Aufsehen. Spezielle Roséregionen gibt es aber keine.
Gabriel Tinguely für die Hotellerie et Gastronomie Zeitung, Ausgabe 16/13 vom 23.05.2013
Zu den Degustations-Notitzen
Auch wenn sich die einzelnen Weine relativ stark unterscheiden, haben sie einengemeinsamen Nenner: Frucht, Frische und Bekömmlichkeit. Und die meisten Rosé befinden sich in einer für die Gastronomie sehr attraktiven Preisklasse. Die Eindrücke
nur kurz zusammenzufassen, wird denWeinen nicht gerecht. Detaillierte Degustationsnotizen können auf www.weinlandschweiz.ch in der Rubrik Wein unter Rosé nachgelesen werden. Alle Preisangaben sind ohne Gewähr. Ein Stern hinter den Ziffern bedeutet zuzüglich MwSt.