Wegen der schlechten Traubenernte bangen Westschweizer Winzerinnen und Winzer um ihre Existenz. Im Kanton Wallis eilt der Staat deshalb mit 14 Millionen Franken zur Hilfe – mittelfristig fehlt jedoch elf Mal so viel Geld.
Wer in den Weinbergen des Lavaux im Waadtland flaniert, geniesst einen traumhaften Blick auf den Genfersee. Ganz und gar nicht gut sind die Aussichten jedoch für die Winzerinnen und Winzer. Viele von ihnen bangen um ihre Existenz. Mit der «Domaine d’Aucrêt» in der Gemeinde Bourg-en-Lavaux ging jüngst ein erstes Weingut pleite. François Montet, Präsident der Vereinigung der waadtländischen Winzer, erwartet, dass dies nur der erste Konkurs einer ganzen Reihe sein wird: «Die finanziellen Probleme bis hin zur Zahlungsunfähigkeit werden in den nächsten Wochen und Monaten auftreten, weil jetzt im Frühling viele Rechnungen zu bezahlen sind.» Akut sind die finanziellen Probleme deshalb, weil die Ernte im Herbst 2021 so tief ausfiel wie seit dem Jahr 1957 nicht mehr. Im Vergleich zum Vorjahr, das bereits als schlechtes Jahr galt, brachen die Erträge schweizweit um 27 Prozent ein. Von den beiden grössten Weinbaukantonen war das Wallis (-41%) dabei von einem grösseren Rückgang betroffen als die Waadt (-19%).
Für François Montet ist klar, dass die wetterbedingt schlechte Ernte im letzten Jahr nur «der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte». Denn schon vorher kämpfte die Branche mit verschiedenen Schwierigkeiten. Montet erwähnt die Konkurrenz aus dem Ausland, die coronabedingte Schliessung der Restaurants als wichtiger Absatzkanal und Pilzkrankheiten wie den falschen Mehltau.
Investitionsrückstand beträgt 160 Millionen
Die Krise der Branche sorgte zuletzt in Bundesbern für Rufe nach mehr Protektionismus für den Schweizer Wein. Mehrere Parlamentarierinnen und Parlamentarier reichten Vorstösse ein, um den Import von ausländischem Wein zu beschränken. Erfolg hatte bisher keiner – gewisse Geschäfte sind jedoch noch hängig. Dies gilt auch für eine Motion der Wirtschaftskommission des Nationalrats, welche die jährlichen Mittel zur Förderung von Schweizer Weinen von heute 2,8 auf neu 9 Millionen Franken erhöhen will.
Nägel mit Köpfen macht derweil der Kanton Wallis. Er unterstützt mit einem Hilfspaket von 14 Millionen Franken jene Winzerinnen und Winzer, deren Ertragsverlust im letzten Jahr mindestens 30 Prozent betrug. «Diese finanzielle Unterstützung wird es den betroffenen Unternehmen erlauben, das schwierige Jahr zu überleben», sagt Yvan Aymon, Präsident des Walliser Branchenverbands für Rebe und Wein. Das grundsätzliche Problem der Walliser Weinproduzenten – der Investitionsrückstand – werde mit der Soforthilfe jedoch nicht gelöst.
Gemäss Aymon stehen in den kommenden Jahren Aufwendungen in der Höhe von rund 160 Millionen Franken an, um alte Reben mit neuen, an den Klimawandel angepassten Sorten zu ersetzen. Werde nicht investiert, drohten ganze Weinberge zu verschwinden, warnt der Verbandspräsident. Betroffen sein könnten laut Schätzungen von Fachleuten rund 500 bis 1000 Hektaren der kantonsweit 4700 Hektaren Anbaufläche.
Was das Wallis und die Waadt unterscheidet
Im Waadtland scheint die Branche bezüglich der Erneuerung der Reben besser für die Zukunft gerüstet als jene im Nachbarkanton. «Die Problematik im Wallis besteht darin, dass es viele kleine Weingüter gibt, die oftmals nebenberuflich bewirtschaftet werden», erklärt François Montet vom Waadtländer Winzerverband. «Der Weinbau in der Waadt ist dagegen stärker professionalisiert und produktiver, weswegen Investitionen in die Erneuerung der Reben vielfach bereits getätigt wurden. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass alle unsere Weinberge auch in Zukunft bewirtschaftet werden.»
Auch im Wallis sieht man noch Grund zur Hoffnung, dass der befürchtete Verlust an Anbauflächen abgewendet werden kann. «Seit dem Jahr 2016 gewinnen die heimischen Weine in der Schweiz an Marktanteilen», erklärt Yvan Yymon. «Diese Entwicklung wird den Walliser Weinproduzenten helfen, die dringend nötigen Investitionen auch ohne staatliche Hilfe zu tätigen.» Oder anders gesagt: Wenn die Bevölkerung weiterhin vermehrt auf Schweizer Wein setzt, wird der Markt viele Probleme von alleine lösen.
(Quelle: Basler Zeitung, Julian Spörri, Lausanne)