2024-07-02

Conrad Briguet tritt in den Ruhestand

Eine Ära geht zu Ende: Seit 2006 leitete der umtriebige Conrad Briguet die Fachhochschule Weinbau und Önologie in Changins bei Nyon. Nun tritt er in den Ruhestand. Briguet hat der Zeitschrift für Obst- und Weinbau SZOW einen Rückblick über seine Amtseit gewährt: Was er erreicht hat und wie sich die einzige önologische Ausbildungsstätte der Schweiz entwickeln wird, erzählt er im ausführlichen Interview.

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Conrad Briguet. (Bild: Obst + Wein)

O+W: Herr Briguet, Sie sind seit 2006 Direktor der Fachhochschule Weinbau und Önologie in Changins bei Nyon. Als Sie damals Ihr Amt angetreten haben, wo stand der Schweizer Weinbau im Gegensatz zu heute?
Conrad Briguet: Der Schweizer Weinbau war damals mit einer weniger grossen ausländischen Konkurrenz konfrontiert als heute und die Attraktivität des Berufs als Winzer/Winzerin respektive Önologin/Önologe war besser als heute. Während die Rebfläche insgesamt stabil blieb, ging die durchschnittliche Produktion einheimischer Weine zurück. Auch der Konsum zeigt einen klaren Abwärtstrend. Dies führt zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten für die Branche und zu einem Interessensschwund der jungen Leute für die spannenden Berufe in diesem Bereich.

Der Absatz von Schweizer Wein war damals weit besser, insbesondere der Anteil der Weissweine. Warum ging der Verkauf so stark zurück?
Wie bereits erwähnt, sah sich die Schweizer Weinproduktion einer wachsenden ausländischen Konkurrenz gegenüber, die mit viel Werbemitteln ausgestattet war. Der Wettbewerb hat sich darum mit der Zeit verschärft. Hinzu kam ein allgemeiner Rückgang des Weinkonsums sowohl bei Schweizer als auch bei ausländischen Weinen. Schweizer Rotweine konnten sich allerdings gut behaupten, was vor allem auf die Verbesserung ihrer Qualität zurückzuführen ist. Weissweine hatten einen hohen Anteil im Sortiment, was unter anderem auf den bis in die 1990er-Jahre geltenden Grenzschutz zurückzuführen war; die Gesetze des Markts haben gewirkt und die Winzerbetriebe haben die Anbauflächen für weisse Rebsorten nach unten angepasst.

Als Westschweizer haben Sie sicher eine hohe Affinität zum Chasselas. Aber Hand aufs Herz: Kann es mit dieser Traubensorte so weitergehen? Braucht es nicht doch eine Korrektur im Sortenspiegel gewisser Kantone und Lagen?
Der Bekanntheitsgrad des Chasselas ist in der Tat stark gesunken und die Anbaufläche überstieg den Bedarf des Markts. Heute haben sich die Dinge geändert und hochwertiger Chasselas erfreut sich wieder grosser Beliebtheit, sogar bei jungen Leuten. Allerdings muss man die Entwicklung des Markts vorhersehen, insbesondere bei den 28- bis 40-jährigen Konsumierenden, die sehr unbeständig sind. Deshalb glaube ich, dass sich nur hochwertige Chasselas-Weine langfristig halten werden.

Wird es aufgrund des Klimawandels nicht zu heiss für den Chasselas am Genfersee oder den Pinot im Wallis und in Neuenburg?
Der Klimawandel war für den Schweizer Rebbau bisher eher günstig, da er zur Verbesserung der Reife der Trauben und zur Qualität der Weine beiträgt. Er bringt aber auch Einschränkungen mit sich, die insbesondere auf den Temperaturanstieg zurückzuführen sind und eine Weiterentwicklung der Rebsorten erfordern. Es handelt sich hierbei um eine langsame Entwicklung, die jedoch von den Fachleuten bereits eingeleitet wurde. Was die kantonalen Listen der zugelassenen Rebsorten betrifft, so sollten diese meiner Meinung nach zugunsten von Listen der empfohlenen Rebsorten aufgegeben werden, da das Ausbildungsniveau der Fachleute sehr gut ist. Man kann sagen, dass Changins dazu entscheidend beigetragen hat.

Wo haben Sie in Changins die Schwerpunkte gesetzt beziehungsweise was waren die grössten önologischen Fortschritte seit 2006?
Die Forschungsabteilung der Fachhochschule Changins ist nicht nur in der Önologie tätig, sondern auch in den Bereichen Weinbau, Boden und Umwelt sowie Weinbauökonomie. Ausgehend davon, dass ein guter Wein im Rebberg entsteht, wurden in den letzten Jahren der Boden und der nachhaltige Weinbau priorisiert, insbesondere mit Projekten, die sich mit dem Mikrobiom des Rebbergbodens und dem Management der Rebbergflora befassen, um der Erosion vorzubeugen, ohne die Reben zu konkurrenzieren. Das wichtigste Projekt im Bereich Nachhaltigkeit namens «Yvorne Grandeur Nature» läuft für ein ganzes Anbaugebiet mit dem Ziel, die Biodiversität in der gesamten Weinbauzone stark zu erhöhen und ein Modell für nachhaltige Entwicklung auf der Ebene eines Weinbaugebiets zu schaffen sowie die Weinpreise zu sichern. Changins ist Partner des Projekts «InnoPIWI» in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) und dem Weinbauzentrum Wädenswil (WBZW). Ein anderes Projekt hat zum Ziel, ätherische Öle als nachhaltige Alternative zu Pestiziden zu finden. Ein weiteres Projekt ist «Viti-Forestry» (Wein-Waldwirtschaft). In der Önologie betreffen die Projekte die Kellertechnik und die mikrobiologischen Verfahren in Zusammenhang mit Hefen und der Gärfähigkeit von Most. In den letzten 15 Jahren hat Changins ein Kompetenzzentrum für Sensorik und Konsumentenwissenschaften sowie das bekannte Schweizerische Observatorium des Weinmarkts (OSMV) aufgebaut, das Marktstudien und Positionierungen von Weinen anbietet. Nachhaltigkeit ist ein Leitmotiv bei der Ausrichtung der Forschungsprojekte.

Wir leben in einer etwas paradoxen Zeit. Einerseits werden die Regionalität und die Nachhaltigkeit gefördert, gleichzeitig wird es immer schwieriger, geeigneten Nachwuchs für die Weinbranche zu finden. Warum ist das so?
Die Antwort auf diese Frage ist nicht einfach und hängt von mehreren Faktoren ab. Die wichtigsten sind meiner Meinung nach die hohen Arbeitsanforderungen und die Konkurrenz auf den Märkten. Wir stellen in der Tat seit einigen Jahren einen Rückgang der Attraktivität dieser Berufe fest. Aus diesem Grund wird Changins in Kürze eine Änderung und Neupositionierung seiner Ausbildungsgänge vorschlagen.

Auch Changins könnte ohne ausländische Studierende kaum existieren. Wieso finden wir nicht mehr einheimische Studierende oder anders gefragt: Was müsste geschehen, damit sich das ändert?
Ihre Frage betrifft die Fachhochschule, das heisst die Ingenieure für Weinbau und Önologie oder Önologen. Die Antwort ist sehr einfach: Mit 15’000 Hektar benötigt der Schweizer Weinbau eine moderate und angemessene Anzahl von Önologinnen und Önologen. Darum ist es illusorisch, mehr auszubilden, als der Markt verlangt. Es muss jedoch eingeräumt werden, dass die Zahl der Deutschschweizer, die sich in Changins zu Önologinnen/Önologen ausbilden lassen, proportional zu gering ist. Hier besteht noch Verbesserungsbedarf. Der ausgezeichnete Ruf der Schule zieht viele ausländische Bewerber aus dem französischsprachigen Raum an. Es ist nicht möglich, alle anzunehmen, um ein Gleichgewicht zwischen Schweizer und ausländischen Studierenden zu wahren.
 
Vielleicht auch als Antwort auf diese Problematik möchten Sie die Struktur des Bachelor-Studiums umstellen. Wie soll es in Zukunft aussehen? Welche Schwerpunkte setzen Sie für die künftige Ausbildung?
Ich kann bestätigen, dass Changins eine gründliche Analyse der Situation vorgenommen und beschlossen hat, die Bachelor- und Master-Ausbildungsprogramme grundlegend zu ändern. Die Entscheidungen werden vom Stiftungsrat und dem Rektorat der Fachhochschule Weinbau und Önologie bis Ende 2024 getroffen und sollten für die Studierenden ab dem Studienjahr 2026 in Kraft treten. Die auf dem Tisch liegenden Ansätze gehen in Richtung einer Erweiterung der Kompetenzprofile hin zu Spezialkulturen (insbesondere Obstbau) und zu anderen fermentierten Getränken landwirtschaftlichen Ursprungs sowie insbesondere zu Wein und sonstigen alkoholfreien Getränken. Dies muss jedoch mit den Fachkreisen noch diskutiert und bestätigt werden.
 
Als Fachhochschule ist man darauf angewiesen, dass die Studierenden bereits mit einem gut gefüllten «Rucksack» kommen (Lehre oder Matura). Welche Studierenden haben es in Changins letztlich leichter: Die «Praktiker» oder die «Theoretiker»?
Zunächst einmal ist es nicht korrekt, von Theoretikern zu sprechen, da die Absolventen einer gymnasialen Maturität ein einjähriges Praktikum in Rebberg und Keller absolvieren und die Aufnahmeprüfung für die Berufspraxis bestehen müssen. Sie verfügen also bereits über Berufserfahrung. Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass die Studierenden mit Eidg. Fähigkeitszeugnis (EFZ) tendenziell mehr Schwierigkeiten in den Grundwissenschaften haben, die derzeit im ersten Jahr gelehrt werden, und dass ihnen die berufsbezogenen Fächer im zweiten und dritten Jahr leichter fallen. Bei den Gymnasiasten ist es oft umgekehrt, doch sie sind sehr motiviert.

Im ersten Jahr des Bachelor-Studiengangs werden vor allem die mathematischen und chemisch-physikalischen Fächer behandelt. Dies geschieht nicht in Nyon, sondern in Genf. Warum ist das so?
Changins arbeitet seit zwanzig Jahren mit dem Studiengang Agronomie der Hépia (Haute école du paysage, de l’ingénierie et de l’architecture) der HES-SO Genf zusammen. Ziel dieser Zusammenarbeit ist, die Kosten zu senken, indem die gemeinsamen Lehrveranstaltungen der beiden Studiengänge zusammengelegt werden. Dies bedeutet, dass die Studierenden von Changins im ersten Semester an drei Tagen pro Woche in der Hépia in Genf unterrichtet werden und im zweiten Semester an einem Tag pro Woche. Ab dem dritten Semester wird der gesamte Unterricht in Changins durchgeführt.

Viele Deutschschweizer Winzerinnen und Winzer fürchten sich vor der Ausbildung in französischer Sprache. Was entgegnen Sie ihnen?
Ich sage ihnen, dass sich diese Herausforderung lohnt, weil sie ihr Leben lang vom Französisch profitieren werden, was im Beruf nützlich sein wird. Um die Schwierigkeit zu verringern, empfehle ich, das Vorpraktikum für Gymnasiasten in der Westschweiz und für EFZ ein Lehrjahr auf einem Betrieb in der Romandie zu absolvieren. Ab dem Schuljahr 2024 bieten wir den deutschsprachigen Kandidatinnen folgende Massnahmen an:

  • Vorbereitungskurs in Französisch (im Sommer)
  • Deutschsprachiger Bezugsprofessor für jeden Deutschschweizer Studierenden
  • Übersetzung der Kursunterlagen (teilweise)
  • Simultanübersetzung der Erklärungen, die von den Professorinnen während des Unterrichts gegeben werden
  • Bachelorarbeit auf Deutsch möglich
  • Zusätzliche Zeit bei Prüfungen

Abschliessend kann ich festhalten, dass während meiner Zeit als Leiter der Fachhochschule keine deutschsprachigen Studierenden wegen fehlenden Sprachkenntnissen durchgefallen sind.

Der Masterlehrgang soll neu in Englisch abgehalten werden. Das heisst für Deutschschweizer, dass sie sich bis zum Bachelor zuerst mit Französisch herumschlagen und danach noch Englisch büffeln müssen. Ist das nicht etwas sehr aufwendig? Und wo liegt der Nutzen?
Seit der Einführung des Masters in Changins im Jahr 2013 werden die Kurse auf Englisch gehalten. Dies gilt im Übrigen für alle Masterstudiengänge an der HES-SO und den meisten Schweizer Fachhochschulen. Auch an ausländischen Hochschulen werden die meisten Masterstudiengänge auf Englisch angeboten, zum Beispiel in Geisenheim (D) oder Neustadt (D). Dies ermöglicht die Integration von Studierenden mit internationaler Herkunft, was in den Masterstudiengängen oft der Fall ist.

Die Umsetzung des Bologna-Systems
war eine grosse Veränderung im Vergleich
zur vorherigen Ausbildung.»

Die Schweiz ist eines von vielen Weinländern in Europa und steht auch wegen der Klimaerwärmung vor grossen Herausforderungen. Wo sehen Sie ausbildungsmässig am meisten Handlungsbedarf?
Dieses wichtige Thema steht seit 15 Jahren im Mittelpunkt des Unterrichts in Changins. Die Kurse zur Rebenphysiologie haben an Bedeutung gewonnen, um unsere Studierenden darauf vorzubereiten, die Anbaumethoden und die Wahl der Rebsorten anzupassen. Die Berücksichtigung der gesamten Umwelt ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung der Nachhaltigkeit im Rebbau. Vor 15 Jahren wurde in Changins ein neuer Ausbildungsschwerpunkt, die umweltgerechte Gestaltung von Weinkellern, eingeführt. Da die Studierenden konkret an verschiedenen Forschungsprojekten teilnehmen, können sie diese neuen Kompetenzen, die im Zusammenhang mit dem Klimawandel erforderlich sind, gut integrieren.

Und wie sollte sich die Forschungslandschaft Schweiz weiterentwickeln?
Die Anpassung an den Klimawandel erfolgt über die Wahl der Rebsorten, die Züchtung von Rebsorten, die gegen Klimastress resistent sind und die Entwicklung von Unterlagen, die gegen Trockenheit immun sind. Der Rebbau ist nicht nur mit der Erwärmung konfrontiert, sondern auch mit Klima­extremen und damit mit einer Zunahme der Virulenz von Pilzkrankheiten und der Schädlingsdynamik. Die Entwicklung krankheitsresistenter Rebsorten ist daher in diesem Zusammenhang von grösster Bedeutung.

Sie setzen sich seit bald zwanzig Jahren unermüdlich für Ihre Hochschule ein. Was waren rückblickend die Höhepunkte Ihrer Karriere? Und welche Projekte oder Aspekte hätten Sie gern anders oder vielleicht sogar besser umsetzen wollen?
Meine erste Aufgabe war die konkrete Umsetzung des Bologna-Systems, das heisst der Bachelor 2006 und der Master 2013, was eine grosse Veränderung im Vergleich zur vorherigen Ausbildung bedeutete. Ein Schwerpunkt lag auf der frühzeitigen Entwicklung der Lehre hin zu mehr Ökologie und Nachhaltigkeit im engeren Sinn, indem seit fast 15 Jahren alle Produktionsmethoden (einschliesslich Bio und Biodynamik) einbezogen werden. Ohne Dogmatismus, sondern mit einem wissenschaftlichen Ansatz. Der deutliche Anstieg der Zahl der Bachelor-Studierenden im Zeitraum 2011 bis 2018 war höchst erfreulich. Gleichzeitig hat die angewandte Forschung sehr stark zugenommen und erhält heute mehr als 1,5 Millionen Franken pro Jahr an Drittmitteln. Die Beziehungen der Schule zu den Deutschschweizer Berufszentren haben sich in den letzten Jahren intensiviert. Wir hätten dies schon früher tun sollen, aber ich bin dennoch sehr zufrieden mit der heutigen Situation. Schliesslich werden regelmässig innovative Lehrmethoden in den Unterricht eingeführt, wie zum Beispiel das «Summer University»-Programm und das von den Studierenden selbst geführte Projekt «Mikrounternehmen».

(Quelle: Obst + Wein, Ausgabe 09/2024)


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Fachhochschule Changins

Die Stiftung Changins wurde 1948 auf Initiative der Westschweizer Kantone, Berns und Tessins gegründet, um eine höhere Ausbildung in Weinbau, Önologie und Obstbau zu schaffen. Später kam der Kanton Jura hinzu. Seit 1975 ist die Stiftung am Standort Changins ansässig und hat 2015 eine bedeutende Veränderung erfahren, indem die Anzahl der Mitgliedskantone reduziert, der Rat von 35 auf 11 Delegierte verkleinert, ein Beruflicher Beirat CPC als Begleitorgan eingerichtet wurde.

Changins als Ausbildungsstätte beherbergt drei Schulen, um den Bedürfnissen der Fachleute in den Bereichen Weinbau und Önologie gerecht zu werden:

  • Die Fachhochschule HES-SO für Weinbau und Önologie vergibt Bachelor- und Masterabschlüsse
  • Die Höhere Fachschule für Weinbautechniker (HF und Meisterprüfung) bietet einen technischen Abschluss als Winzer/Winzerin
  • Die Weinschule (EdV) bietet ein Sommelier-Diplom und Weiterbildungskurse in Weinverkostung und -kenntnis

Changins befindet sich oberhalb der Gemeinde Nyon und positioniert sich als nationales Kompetenzzentrum für Ausbildung im Weinbau und in der Önologie, dank der gleichzeitigen Präsenz der Bundesforschungsanstalten (Agroscope), der Schule Changins und bald auch der Akteure der beruflichen Grundbildung des Kantons Waadt (EBA Winzer und Kellermeister) sowie der Berufsbildungsorganisationen in den Bereichen Weinbau, Obstbau und Önologie.

www.changins.ch